1 Ein kleiner Spaziergang in einer Schottischen Kleinstadt

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6 Jahre 9 Monate her #160260 von Ianuk
Hallo Leute,

mich kennt wahrscheinlich gar keiner mehr. War schon seit Ewig und drei Tagen nicht mehr hier. Ich lebe (immer noch) da, wo die meisten von euch Urlaub machen. Im schönen Greenock, ganz in der Nähe von Glasgow, Schottland. Und jeden Tag, wenn ich von der Arbeit nach Hause laufe, gehe ich am Fluß Clyde entlang und entdecke dabei so das eine oder andere. Da ihr euch ja sicher alle für Schottland interessiert, dachte ich teile ich einfach mal meine Entdeckungen, die ich in den letzten 2 Jahren auf meinem nach Hause weg immer so gemacht habe. Viel Spaß beim lesen (und Kommentare gern erwünscht).


Naturpfad nach Hause
Hast du den Clyde gesehen? Wirklich gesehen? Seine Wunder, das Leben und den Tod? Ich schon. Jeden Tag seit wir mit der Firma vor zwei Jahren nach Gourock gezogen sind. Gibt's eine bessere Art nach einem harten Tag im Büro zu entspannen, als ein 45-minütiger Spaziergang (oder länger) vom Gourock Bahnhof vorbei an der Fähre bis zur Greenock Margaret Street? Und es wird nie langweilig, da man jeden Tag etwas entdecken kann. Reiher, Otter, Militärschiffe. Manchmal sogar die Yacht eines russischen Milliardärs, falls der Nebel sie nicht verschluckt.
Am auffälligsten sind jedoch die Möwen, die von den Dächern und Laternen kreischen und lachen und Muscheln zu Boden fallen lassen, um an deren leckere Innereien zu kommen. Oder sie “tanzen” auf dem Gras, um Regenwürmer zum Mittagessen einzuladen (als Hauptgericht natürlich). Andere Vögel tun es ihnen gleich.
Bei Ebbe kann man auch noch andere Vögel sehen. Schwarz und weiße mit roten Schnäbeln und Beinen, die den steinigen Strand absuchen, um eine Napfschnecke zum Mittagessen zu finden, die sich nicht fest genug an einen Stein klammert. Manche mögen denken, es seien Pinguine, doch es eigentlich Austernfischer.
Dies sind nur ein paar Bewohner des Clydes und nicht alle sind immer da. Einige kommen nur zu bestimmten Jahreszeiten. Wie die schnatternden Gänse, die im Frühling über den Fluss fliegen, auf ihrem Weg nach Norden. Von denen gibt es nichts zu befürchten, aber Vorsicht vor den Schwänen, die sind mitunter besser als jeder Wachhund. Diese Vögel können ziemlich schnell rennen. Und wenn sie deine Nase oder deinen Hund nicht mögen oder wenn du ihren Jungen zu nahe kommst, werden sie dich verfolgen und sie werden dich beißen. Mein Vater und ich haben es am eigenen Leib erfahren. Wenn du jedoch Abstand hältst, sind sie majestätisch anzuschauen. Im Frühling beginnen die Schwäne auch mit ihrem lebenslangen Partner die Brutsaison. Während die liebende Mutter die Eier dreht und warm hält, beschützt der wachsame Vater Nest und Familie vor jeglicher Gefahr. Wie kann man sie auseinanderhalten? Einfach. Männliche Höckerschwäne haben einen größeren Höcker auf ihrem Schnabel.
Wochenlang beobachtete ich das Nest. Ich konnte es nicht erwarten die kleinen, flauschig-grauen Wollknäuel zu sehen. Um so trauriger war ich, als keins der Kücken überlebte. Aber so ist die Natur. In einem Jahr ist man erfolgreich, im nächsten nicht.
Die Möwen sind da erfolgreicher und vor allem lauter, müssen sie ihrem lebenslangen Partner und jedem Lebewesen in der Nähe doch zeigen wie toll sie immer noch sind. Was gibt es interessanteres als ein Möwenkampf quere über eine relativ befahrene Straße. Wo sonst kannst du Kämpfer sehen, die sich gegenseitig die Flügel und Schnäbel festhalten und sich gegenseitig auf den Boden drücken, ohne sich um die Autos zu scheren. Sollen die doch langsamer fahren und einen Bogen um sie herummachen.
Sobald sie gezeigt haben, was sie können, wird es Zeit für das eigentliche Geschäft, mit den Damen, irgendwo, gut sichtbar, wie zum Beispiel auf einem verrottenden Holzbootsteg. Nicht gerade etwas, was man hören und sehen will nach einem anstrengenden Arbeitstag. Doch für ein paar Sekunden beobachte ich genau das, und den Möwen schien es piepegal zu sein. Falls dieser Anblick zu viel war, hilft vielleicht eine schönen Tasse Kaffee oder Tee und ein Stück Kuchen in dem kleinen Cafe am Clyde, gefolgt von einem kurzen Einkaufsbummel in den kleinen Geschäften eine Straße weiter oben.
Doch auch im Sommer gibt es viel zu entdecken. Es ist die Zeit der riesigen Kreuzfahrtschiffe, Renn- und Segelboote. Gelegentlich sieht man auch einen Schwimmer, der dem kalten Wasser trotzt. Doch das ist nicht ganz ohne Risiko, da sie den Clyde nicht nur mit Schiffen und Booten teilen. Wurzelmund-, Ohren- und Feuerquallen nennen diesen Fluss im Sommer ebenfalls ihr zu Hause. Sie sind zwar alle schön anzuschauen, doch es ist die Feuerqualle, die schmerzhaft werden kann.
Mit dem Herbst kehren die Gänse zurück. Diesmal auf dem Weg in den Süden, während der Reiher sich in der Abenddämmerung versteckt und die Schwanenbabys inzwischen zu Jugendlichen herangewachsen sind (falls sie bis jetzt überlebt haben).
Wer auf Abenteuer aus ist, wird vom Clyde nicht enttäuscht, wenn es auch nicht immer welche gibt. Man sieht schließlich nicht jeden Tag einen Otter oder Robben am Ufer liegen oder in den Fluten schwimmen. Manchmal musst man jedoch genauer hinsehen. Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen. Bei einer Robbe stellte sich heraus, dass sie eine Rückenflosse hatte. War es ein Wal? Möglich. Ich hatte in der Zeitung zuvor von einem im Clyde gelesen. Doch ich werde es wohl nie erfahren, da er zu schnell auf Nimmerwiedersehen verschwunden war.
Ein Abenteuer war jedoch nicht so angenehm. Die Entdeckung einer toten Robbe brach mir das Herz. Eine Frau kniete daneben, vermutlich um herauszufinden, woran sie gestorben war. Wochenlang blieb der Kadaver liegen, Witterung und hungrigen Möwen und Aaskrähen ausgesetzt, die langsam die blanken Knochen zum Vorschein bringen, bis das Tier eines Tages einfach weg war – vermutlich von Menschen entfernt oder von der Flut hinausgespült.
Ein Kormoran hatte da etwas mehr Glück, dass ich ihn entdeckt hatte, so völlig verheddert in einer Angelschnur. Natürlich musste ich dem Tier helfen. Aber wie? So einen Vogel zu fangen war nicht leicht und was sollte ich dann mit ihm machen? Ich brauchte Hilfe, doch wen sollte ich rufen? Zum Glück gibt es in Greenock noch hilfsbereite Menschen. Wie zum Beispiel das Paar, welches den örtlichen Tierschutzverein anrief.
Der eigentliche Held war jedoch ein Kanufahrer des Royal West of Scotland Amateur Boat Club, der unermüdlich versuchte er das Tier aus dem Wasser zu fischen. Immer wieder tauchte der Vogel unter dem Kanu hindurch und entkam seinem Griff. Eine halbe Stunde ging das so hin und her, bis der Kormoran schließlich erschöpft aufgab und sich an Land bringen ließ. Ganz am Ende was er allerdings noch nicht. Mit dem Schnabel wehrte er sich gegen den Mann vom Tierschutz. Dieser war froh, dass er Handschuhe trug.
Aber nicht alle Abenteuer sind so dramatisch. Manchmal sind es nur ein paar Schwäne, die mit ihrem Familientreffen mitten auf der Straße den Verkehr blockieren. Es war lustig anzusehen, wie die beiden Autos hilflos darauf zu warten, dass die majestätischen Vögel die Straße verlassen, was nicht passieren würde. Sie haben nicht um die Menschen geschert, die versuchen, sie von der Straße zu scheuchen.
Ich hatte sofort eine Idee. Mit meinem Regenmantel, den ich auf Grund von Regen trug, sollte ich die Vögel von der Straße treiben können. Bei den Hunden klappte es ja auch jedes Mal. Ein Versuch war es wert. Ich breite meine Arme aus und bewegte sie wie riesige Flügel. Langsam ging ich auf die Schwäne zu. Und tatsächlich, sie watschelten tatsächlich auf den Bürgersteig. Widerwillig zischend ließen sie die Auto schließlich vorbei.
Wie man sieht, kann man nie sagen, was einen hier erwartet. Eine einbeinige Lachmöwe, einen Brachvogel, Schwärme winziger Fischchen. Wer weiß, möglicherweise sind Sie ja einer der wenigen Glückspilze, die einen fliegenden Schwan entdecken. Oder vielleicht begegnet Ihnen eine lockige Frau, die mir Ihrer schwarzen Katze spazieren geht. Doch Vorsicht an stürmischen Tagen, wenn der einsame Clyde über das Geländer spring und jeden umarmt, der nicht schnell genug ausweichen kann...

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6 Jahre 9 Monate her #160261 von Helen Scozia
Welcome back, lanuk! Musste tatsächlich erst mal gucken, wann und was du zuletzt geschrieben hast. ;-)

Die Schilderung deines Spaziergangs (oder wohl eher Arbeitsweges) habe ich interessiert gelesen. Danke für diesen kleinen Einblick in deine Gedankenwelt. :)

So wie du da auf Details, Jahreszeiten, Begegnungen und Begebenheiten achtest, geht es mir, wenn ich mit der DigiCam in der Hand unterwegs bin. Immer auf der Suche nach dem Besonderen, winzigen "Puzzleteilen", die im Ganzen ein wunderschönes Bild, z. B. tolle Erinnerungen an vergangene Urlaube, ergeben. Wenn man nach schönen oder ungewöhnlichen Motiven Ausschau hält, nimmt man sein Umfeld/seine Umgebung auch viel intensiver wahr und weiß kleine Dinge oder anscheinend unbedeutende Ereignisse ganz anders zu schätzen. Und man merkt sich vieles besser, weil man es mit einem bestimmten Moment verbindet.

Nehme mir übrigens oft vor der Arbeit die Zeit, ein paar Stationen früher aus der Straßenbahn auszusteigen, um noch vor dem Stress des Tages ein paar Minuten durch einen Park zu spazieren und den Kopf frei zu bekommen. Da genieße ich die mich umgebende Natur wie du und erfreue mich z. B. an Eichhörnchen oder Spechten. :lol:

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6 Jahre 9 Monate her #160262 von Rhona
Vielen Dank, Lanuk, für das Mitnehmen auf die Abenteuer deines Arbeitswegs.

Deine Schilderungen haben mich sehr berührt – du nimmst deine Umgebung mit sehr wachen Sinnen wahr und hast eine wunderbare Art, darüber zu schreiben. Ich war in diesem April das erste Mal am Clyde (in Glasgow) und fühlte mich beim Lesen sofort in diese liebenswerte Gegend zurückversetzt.

Ich werde mich sehr freuen, mehr von dir zu lesen.

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6 Jahre 9 Monate her #160263 von Ianuk
Freut mich, das es euch gefällt. Übrigens Rhona, mein Name ist Ianuk, mit einem großen i, nicht mit L ;)

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